Hin zum Leitbild „Lebensstandardsicherung aus mehreren Säulen“
Die Alterssicherungspolitik war lange daran ausgerichtet, dass die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) „nach einem erfüllten Erwerbsleben“ die Lebensstandardsicherung im Alter gewährleisten sollte. Seit der sogenannten Riester-Reform im Jahr 2001 durch die damalige Bundesregierung ist nun die „Lebensstandardsicherung aus mehreren Säulen“ das Leitbild der deutschen Alterssicherung. Durch die schrittweise Absenkung des Leistungsniveaus in der GRV sollte der Beitragssatzanstieg begrenzt werden. Mit dem Paradigmenwechsel war die Erwartung verbunden, das geringere Leistungsniveau in der GRV durch freiwillige Zusatzvorsorge - insbesondere über die staatlich geförderte Riester-Rente - mindestens zu kompensieren. Das bedeutet, heute sind neben den Leistungen der GRV im Regelfall ergänzende Leistungen aus der betrieblichen oder privaten Vorsorge erforderlich, um den Lebensstandard im Alter zu halten.
Aktuelle Situation in der Zusatzvorsorge: Quantitativ und qualitativ ausreichend?
Seit der Reform ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen. Damit ist der Zeitpunkt gekommen, Bilanz zu ziehen. Folgender Dreiklang hilft dabei, den Erfolg der Reform einzuordnen:
- Von der Niveausenkung in der GRV sind alle Versicherten betroffen. Für die Zusatzvorsorge muss daher das Ziel sein, dass sich alle Versicherten beteiligen (Extensität).
- Dass zusätzlich vorgesorgt wird, ist aber allein noch nicht ausreichend. Die Beiträge, die in die Zusatzvorsorge fließen, müssen zudem hoch genug sein, damit die daraus resultierenden Leistungen die Niveauabsenkung in der GRV kompensieren (Intensität).
- Die GRV versichert die biometrischen Risiken Langlebigkeit, Invalidität und Tod. Diese Risiken müssen in der zusätzlichen Vorsorge ebenfalls adäquat abgesichert sein (Qualität).
Mehr als ein Drittel (38 %) sorgen nicht zusätzlich vor
Laut Alterssicherungsbericht 2024 sorgen aktuell rund 62 Prozent der Beschäftigten neben der GRV über eine betriebliche und/oder eine staatlich geförderte private Altersvorsorge („Riester“) vor. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass mehr als ein Drittel (38 Prozent) keine zusätzliche Altersvorsorge im engeren Sinn betreibt. Nur 16 Prozent der Beschäftigten besparen sowohl einen Riester-Vertrag als auch einen Vertrag in der betrieblichen Altersversorgung (BAV) (siehe Grafik 1).
Lesehilfe: Am Ende des Jahres 2023 sorgen 82 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter zwischen 25 und unter 67 Jahren und mit einem individuellen Bruttomonatseinkommen von mindestens 5.500 Euro in der zusätzlichen Altersvorsorge vor.
Quelle: BMAS, Alterssicherungsbericht 2024 (Personenbefragung AV 2023), Tab. D.3.1 und D.3.7
Hinweis: Ergebnisse gerundet; Werte sind nicht additiv, da Mehrfachzugehörigkeiten möglich.
Die Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge nimmt mit steigendem Einkommen zu. Die höchste Gehaltsgruppe (5.500 € und mehr) weist zugleich die höchste Verbreitungsquote von über 80 Prozent auf, bei Geringverdienern (unter 1.500 €) liegt sie bei 45 Prozent. Beschäftigte mit geringem Einkommen verfügen vor allem seltener über eine betriebliche Altersversorgung als Beschäftigte mit hohem Einkommen. Der Anteil der Beschäftigten mit Riester-Vorsorge ist dagegen über die verschiedenen Einkommensgruppen hinweg relativ konstant. Daran zeigt sich, dass die Riester-Förderung für Personen mit geringem Einkommen einen Unterschied macht (siehe Grafik 1).
Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass die Verbreitung der Zusatzvorsorge in den neuen Bundesländern, bei jüngeren Beschäftigten, bei Personen mit mehr als zwei Kindern sowie insbesondere bei Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit niedriger ist als im Gesamtdurchschnitt. Auch bezüglich der Betriebsgröße gibt es Unterschiede: So weisen Beschäftigte in großen Betrieben (86 Prozent bei 1.000 und mehr Beschäftigten) eher eine betriebliche Altersversorgung auf als Beschäftigte in kleinen Betrieben (25 Prozent bei weniger als zehn Beschäftigten) (Alterssicherungsbericht 2024).
Tabelle 1: Die Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge nach soziodemografischen Merkmalen
Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 25-66 Jahren (in %) mit aktivem Anwartschaftserwerb, 2023
Auf mobilen |
|
Mit betrieblicher |
Mit Riester- |
Mit zusätzlicher |
---|---|---|---|---|
Geschlecht |
weiblich |
52 |
32 |
65 |
|
männlich |
52 |
22 |
60 |
Region |
Alte Bundesländer |
54 |
27 |
64 |
|
Neue Bundesländer |
45 |
25 |
57 |
Alter |
25-34 Jahre |
46 |
19 |
53 |
|
35-44 Jahre |
51 |
31 |
63 |
|
45-54 Jahre |
52 |
30 |
64 |
|
55-66 Jahre |
58 |
26 |
67 |
Kinder |
Keine Kinder |
51 |
24 |
61 |
|
1 Kind |
52 |
29 |
63 |
|
2 Kinder |
58 |
35 |
70 |
|
3 Kinder und mehr |
44 |
31 |
57 |
Staats- |
Deutsch |
56 |
29 |
67 |
|
Nicht-Deutsch |
32 |
10 |
37 |
Alle Personen |
52 |
27 |
62 |
Lesehilfe: 32 Prozent aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen im Alter zwischen 25 und unter 67 Jahren zahlten am Ende des Jahres 2023 Beiträge in einen Riester-Vertrag ein (2. Zeile, 4. Spalte).
Quelle: BMAS, Alterssicherungsbericht 2024, Tab. D.3.1 bis D.3.4 und Forschungsbericht 653 (Personenbefragung AV 2023), Tab. 1.8
Hinweis: Ergebnisse gerundet; Personen im Alter zwischen 25 und unter 67 Jahren; Werte sind nicht additiv, da Mehrfachzugehörigkeiten möglich.
Auch wenn die Definition von Altersvorsorge weiter gefasst wird (z. B. inklusive sonstigen privaten Renten- oder Lebensversicherungen oder selbstgenutztem Wohneigentum), so bleibt aktuell ein substanzieller Teil von knapp einem Sechstel der Beschäftigten, deren Altersvorsorge ausschließlich auf der GRV beruht (BMAS 2025). Festzustellen ist zudem, dass sich im Vergleich zu früheren Befragungen eine rückläufige Beteiligung an der Zusatzvorsorge abzeichnet (vgl. 2019 mit 66 Prozent (BMAS 2020) und 2015 mit 70 Prozent (BMAS 2016).
Eine umfassende Beteiligung an der Zusatzvorsorge ist der erste, notwendige Schritt zu einem erfolgreichen Mehrsäulensystem. Die Vorsorge sollte die mit der Riester-Reform einhergehende Niveausenkung in der GRV kompensieren. Vier Prozent des Bruttoeinkommens werden dafür zugrunde gelegt. Zudem sollte die Steuerersparnis aus der Absetzbarkeit der Beiträge zur GRV für das Alter angespart werden.1
Im Durchschnitt liegt der Eigenbeitrag zur betrieblichen Altersversorgung bei 2,9 Prozent des Bruttolohns. Riester-Versicherte sparen etwa 2,8 Prozent (Alterssicherungsbericht 2024). Dazu kommen in der betrieblichen Altersversorgung häufig ein Arbeitgeberanteil und bei der Riestervorsorge die staatlich gewährten Zulagen. Der Gesamtbeitrag liegt also höher, er kann aber aufgrund von fehlenden Daten nicht präzise beziffert werden. Trotzdem kann das Ziel von 4 Prozent des Bruttoeinkommens in der Regel nur von Personen, die sowohl über Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung als auch über einen Riestervertrag verfügen, erreicht werden.
Unzureichende Absicherung in der zusätzlichen Altersvorsorge vor allem bei Invalidität
In der GRV werden die Risiken der Langlebigkeit, der Invalidität2 und des Todes (in Form eines Hinterbliebenenschutzes) abgesichert. Diese Risiken müssen in der zweiten und dritten Säule ebenfalls adäquat aufgefangen werden, wenn die Niveausenkung in der GRV tatsächlich kompensiert werden soll.
Umfassende Daten zur Absicherung der Risiken sind kaum vorhanden (vgl. Czaplicki et al. 2025). Zur Orientierung können Daten der Studie "Lebensverläufe und Altersvorsorge" (LeA3) aus dem Jahr 2016 herangezogen werden, die allerdings die aktuelle Entwicklung nicht mehr abbilden.
In der Zusatzvorsorge des öffentlichen Dienstes sind die biometrischen Risiken grundsätzlich mit abgesichert. In der Privatwirtschaft verfügen jedoch laut LeA-Studie nur knapp die Hälfte der betrieblichen Anwartschaften über einen Invaliditätsschutz; in der Riestervorsorge findet sich dieser Schutz nur bei knapp einem Drittel der Anwartschaften. Der Anteil für den Hinterbliebenenschutz ist teilweise deutlich höher, in der betrieblichen Altersversorgung liegt er bei 72 Prozent; in der Riestervorsorge bei 67 Prozent. Die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos erfolgt derzeit noch sehr umfassend, sowohl in der Riestervorsorge – dort ist sie gesetzlich vorgeschrieben – als auch in der betrieblichen Altersversorgung mit 88 Prozent der Anwartschaften.
Die unzureichende Absicherung bei Invalidität ist aktuell die größte Herausforderung hinsichtlich der Qualität der Risikoabsicherung im Mehrsäulensystem. Zumal sich bestimmte Personengruppen z. B. mit Vorerkrankungen oder in riskanten Berufen nur zu sehr hohen Kosten oder gar nicht privat gegen eine Erwerbsminderung absichern können.
Lesehilfe: Im Jahr 2016 sichern 31 Prozent der Riester-Anwartschaften der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter zwischen 40 und 59 Jahren das Invaliditätsrisiko ab.
Quelle: Studie "Lebensverläufe und Altersvorsorge" (LeA)
Hinweis: Ergebnisse gerundet.
Die aktuelle Diskussion zeigt zudem, dass auch die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos als zentraler Bestandteil von Alterssicherung in Frage gestellt wird. So findet sich beispielsweise in den Empfehlungen der Fokusgruppe private Altersvorsorge die Forderung zeitlich befristete Auszahlungspläne zuzulassen, um Kosten zu sparen (rentenupdate #7: Riester-Rente: Ist ein Auszahlungsplan Alterssicherung?).
Fazit
Ein Vierteljahrhundert nach der Riester-Reform zeigt sich, dass es derzeit nicht umfassend gelingt, die Niveausenkung in der GRV adäquat mit der freiwilligen zusätzlichen Altersvorsorge zu kompensieren. Sowohl die Verbreitung als auch die Höhe der Beiträge lassen Wünsche offen. Eine zusätzliche Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung erfolgt zu selten. Aktuelle Diskussionen lassen einen weiteren Abbau des Erwerbsminderungsschutzes und auch der Absicherung der Langlebigkeit befürchten.
Die dargestellten Ergebnisse stellen das Mehrsäulensystem in der gewählten Form grundsätzlich in Frage. Eine faktenorientierte Diskussion zur zukünftigen Ausrichtung der Alterssicherung ist vor diesem Hintergrund unabdingbar. Soll am Mehrsäulensystem festgehalten werden, und kann es im Hinblick auf Verbreitung, Höhe der Beiträge und Risikoabsicherung gestärkt werden? Oder ist ein neues Leitbild der Alterssicherung in Deutschland notwendig? Diese grundsätzlichen Fragen gehören auf die politische Tagesordnung. Im Idealfall gelingt ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens.
________________________________________________
1 Laut dem Alterssicherungsbericht 2024 (S. 191 f.) erhöht sich das 4-prozentige Sparziel eines Durchschnittsverdieners mit Rentenzugang im Jahr 2038 hierdurch um zwei weitere Prozentpunkte.
2 Um die Erwerbsfähigkeit dauerhaft zu erhalten, bietet die GRV zudem Präventions- und Rehabilitationsleistungen an.
3 Die Studie "Lebensverläufe und Altersvorsorge" (LeA) wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragt. LeA bietet umfangreiche Informationen zu den bislang erworbenen Anwartschaften und dem Altersvorsorgeverhalten der zum Zeitpunkt der Datenerhebung (2016) 40- bis unter 60-jährigen Personen und ihrer Partner (unabhängig vom Alter) in Deutschland.